Zum regionalen Kontext einer künstlerischen Intervention

Als Image ist das Salzkammergut einfach: Seen, Wald, Berge, Salz, Tourismus. Wie immer ist es komplizierter, wenn man näher hinsieht.

Wie immer ist es komplizierter, wenn man näher hinsieht. Das Salzkammergut ist zerklüftet, zwar eine Landschaftsregion, aber über drei Bundesländer verteilt und keine eigene Verwaltungseinheit. Mehrere teilregionale Tourismusverbände bündeln sich unter einer Dachmarke Salzkammergut. Mehrere historische Salinen und konkurrierende Kleinzentren wollen Beachtung finden. Das Salzkammergut kann auch als Stück konzentriertes Österreich gesehen werden, da hier alle Eigenschaften vorzufinden sind, die ein politisches Österreich ausmachen: christlich-konservativ, sozialdemokratisch und deutschnational, ein bisschen bürgerlich-liberal, bäuerlich-proletarisch, kleingewerblich und staatlich, katholisch und, gerade in dieser Gegend, auch protestantisch. Und nicht zu vergessen eine ganze Reihe zugewanderter Bürger verschiedener Nationalität oder Konfession, die als Arbeitsmigranten ihr Auskommen finden.

Seit seiner romantischen Entdeckung im 19. Jahrhundert entstand das Bild vom Salzkammergut als einer erfundenen und gezähmten Landschaft. Viele Wiener und Wienerinnen flanierten auf Straßen und Wegen, urbanes Mobiliar zierte Veranda, Villa BR7C2028-Marchner2-rgboder Kaffeehaus. Quasi wie von selbst entstand ein Überschuss an Idealisierung nicht nur der Berge, sondern auch der einheimischen Menschen mit ihrem bekannten Eigensinn. Doch gilt insbesondere das Ausseerland mit einem geflügelten Wort von Alfred Komarek als „Bühne hinter den Kulissen“. Es wird in Tracht aufgetreten und man kennt sich, auch wenn man sich ignoriert. Es gilt die Herrschaft der Informalität, soll heißen, wichtige Leute erscheinen hier nicht so wichtig. Wichtige Dinge werden nicht formal, sondern hinter den Kulissen entschieden. Das Bild ist also vielschichtig, und historisch betrachtet, war die idyllische Landschaft des Salzkammergutes keine Idylle.

In einem der Herzen des Salzkammergutes, an der steirisch-oberösterreichischen Landesgrenze, kam es innerhalb weniger Jahre zu einer Kette von Ereignissen, mit ihrer dramatischen Zuspitzung im Frühjahr 1945, die allesamt historische und überregionale Bedeutung hatten. Sie geschahen auf verschiedenen Ebenen unter dem Druck der Kriegszeiten und in der Verfolgung durch das totalitäre Regime des Nationalsozialismus. Eine Gruppe von politischen Oppositionellen aus der Region versteckte sich in den Bergen, um zu überleben, unterstützt vor allem von Frauen aus den umliegenden Tälern. Bereits Jahre zuvor war die ehemals kaiserliche Sommerfrische, die gerne von jüdischen Erholungsuchenden besucht wurde, zur arisierten Ferienregion für NS-Funktionäre avanciert. Es kam zur systematischen Enteignung und Vertreibung. Das Ausseerland wurde zunehmend Fluchtpunkt und Rückzugsort für hochrangige Vertreter BR7C2498-Marchner3-rgbdes NS-Staates und für kollaborierende osteuropäische Exilregierungen. Raubkunst aus halb Europa wurde im Altausseer Salzberg eingelagert, deren vorbereitete Vernichtung zu Kriegsende noch verhindert werden konnte. Weitere Schätze wurden im Toplitzsee vermutet, denn deutsche Soldaten versenkten Beweismittel in seinen dunklen Tiefen. Der malerisch abgelegene Bergsee war schon während der Kriegsjahre als sicherer Ort für militärtechnische Experimente genutzt geworden. Als ob es der Legenden noch nicht genug gäbe, sprang tatsächlich eine Gruppe von oppositionellen Österreichern im März 1945 mit dem Fallschirm über dem Höllengebirge ab, um im Auftrag der Alliierten Joseph Goebbels zu verhaften, der aber bereits abgereist war. Die Zeitgeschichte schließt mit dem Eintreffen der US-amerikanischen Armee, bei deren reibungsloser Machtübergabe die verschiedenen Widerstandsgruppen ihre Hand im Spiel hatten. Und nach Kriegsende schien es plötzlich mehr Widerstandsgruppen zu geben als während der NS-Herrschaft. In den Jahren danach entstanden Mythen, Legenden, kalte Konflikte, aber auch vielfaches Schweigen und Tabuisierungen. Seither sind viele Ereignisse historisch belegt und manches will man nicht vertiefen.

Nicht nur die Vorbereitung zum Kunstprojekt Politische Landschaft zeigt, dass es bei der Arbeit mit Erinnerung immer um zweierlei geht: einerseits um die Ereignisse selbst, hier im Frühjahr 1945, andererseits um die Zeit danach und um den Umgang mit diesen Ereignissen. Ein Beispiel dafür ist die moralische Abwertung und historische Ausblendung von Menschen, die sich als verfolgte Oppositionelle während der NS-Zeit in den Bergen und Wäldern versteckten, sowie jener Menschen, die ihnen dabei unter Lebensgefahr halfen. Es handelte sich um eine Gruppe, die für die frischgebackene Zweite Österreichische Republik nach Kriegsende als Beweis für den Widerstand der eigenen Bevölkerung gegen das NS-Regime herhalten musste, um anschließend im Kalten Krieg als nicht mehr gesellschaftsfähig in die Bedeutungslosigkeit gedrängt zu werden. So sind diese Ereignisse erst aufgrund der Recherchen eines engagierten und hartnäckigen Linzer Historikers1 in den 1960er und 1970er Jahren mit einer umfassenden Dokumentation wieder lebendig und so auch für wissenschaftliche Forschung zugänglich gemacht worden.

Der schwierige Umgang mit diesen Ereignissen der NS-Zeit äußerte sich auch in den Erfahrungen einer Historikerin, die das Kriegsende im Ausseerland Anfang der 1990er Jahre zum Gegenstand einer Ausstellung im Kammerhof Museum in Bad Aussee machte und erleben musste, dass viele Menschen nicht bereit waren, Material zur Verfügung zu stellen, aus Angst davor, Unruhe zu stiften. Und er äußert sich in den zahlreichen Geschichten und Gschichterln von Ausseern darüber, wie es damals „wirklich“ zugegangen sei bei der Rettung der Kunstschätze, der Verhaftung von Herrn soundso usw. Oder in indirekten bis deutlichen Hinweisen, man solle endlich Ruhe geben, da es noch immer von irgendjemand irgendwelche Verwandte der damals irgendwie Involvierten gebe, die man nicht zu beeinträchtigen wünsche.

Aber was macht diese Gegend darüber hinaus zu einer politischen Landschaft? Ihre Bergwelt? Ihre Geschichte? Wie wirkte sich die totalitäre NS-Herrschaft auf eine ganze Region, auf ihre feinen sozialen Differenzierungen, auf die Überlebensmöglichkeiten und auf die widersprüchlichen Verhältnisse aus? Diese und ähnliche Fragen stehen im Mittelpunkt einer künstlerischen Spurensuche. Es entstehen künstlerische Arbeiten, platziert im öffentlichen Raum der Orte und der Berge, die auf die Region, ihre Geschichte und im Besonderen auf die damaligen Ereignisse verweisen. Sie werden sichtbar und lebendig durch unsere Betrachtung und Erinnerung heute – im Gegensatz zur verbreiteten Tabuisierung oder zu marktschreierischen Helden-, Schatz- und Nazi-Geschichten.

Ein derartiges Projekt braucht für sein Gelingen eine enge Kooperation zwischen einer Institution des Landes, dem Institut für Kunst im öffentlichen Raum Steiermark/Universalmuseum Joanneum, und der Region. Die involvierten Künstlerinnen und Künstler brauchen Basiswissen über die Region und über ihre Geschichte. Es braucht die Einbindung von Entscheidungsträgern und Meinungsmachern. Es braucht die Einbeziehung von Menschen und Institutionen aus der Region, die an der Sichtbarmachung dieser Zeit ebenfalls interessiert sind. Parallel zur Präsentation der künstlerischen Ergebnisse braucht es Information und Vermittlung. Deswegen kann eine derartige Aufbereitung der Geschichte einer Region auch als Qualität eines sanften Tourismus verstanden werden, für den das Ausseerland im Grunde steht. Für eine Zielgruppe, die sich an Natur, Kultur, an Literatur und Kunst sowie am geistigen Mythos der historischen Sommerfrische erfreut und orientiert. Künstlerische Arbeit findet auf der Basis sachlicher Informationen einen unkonventionellen Zugang zu diesem Thema und der Region. Im Sinne einer Lockerungsübung kann ein unkonventioneller wie künstlerischer Zugang von außen dem eher verkrampften Umgang mit den Schatten der Vergangenheit in der Region nur guttun.

Günther Marchner

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1 Peter Kammerstätter: Materialsammlung über die Widerstands- und Partisanenbewegung Willy-Fred im Oberen Salzkammergut-Ausseerland 1943-1945, Linz (o. J.)