Bibliothek des kollektiven Gedächtnisses 1945
Buchregal, Mikrophon, Computer im Literatur Museum Altaussee, Computer auf der Blaa Alm, Internet-Verbindung, Kabel, Außenlautsprecher

Im Leseraum des Literaturmuseum Altaussee finden Bürgerinnen und Bürger sowie Reisegäste und Neugierige ausgewählte Bücher in Regalen zum Thema Erinnerung und kollektives Gedächtnis der Zeit um 1945. Sie sind eingeladen, daraus vorzulesen. Die Lesungen werden per Mikrophon über Internet in die Berge übertragen. Eine Empfangsstation sendet das Signal an einen Lautsprecher nahe der Blaa Alm. Im Kunsthaus sind Materialien und Klangbeispiele zum Thema ausgestellt.

IM TAL

Das heutige Kur- und Amtshaus befindet sich in der ehemaligen Auspitz-Villa, erbaut 1884. Die alte jüdische Familie Auspitz stammte ursprünglich aus Mähren. Sie wurde in der Donaumonarchie vermögend. Der Wiener Bankier und Industrielle Rudolf Auspitz kaufte 1886 das neu errichtete Gebäude als seinen Herrensitz. Er liebte Altaussee und das Wiener Großbürgertum traf sich gerne zur Sommerfrische im Ausseerland. Sigmund Freud gehörte Ende des 19. Jahrhunderts ebenso zu den Kurgästen wie Hugo von Hoffmannsthal, Theodor Herzl, Artur Schnitzler, Karl Lueger und viele andere. 1938 wurde der gesamte Famlienbesitz Auspitz durch die Nationalsozialisten „arisiert“. Der damalige Bankgesellschafter Stefan Auspitz und Besitzer der Villa wurde 1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, anschließend in das Konzentrationslager Dachau. Er überlebte seine Befreiung 1945 nur um wenige Monate.

Das Haus wurde nach Kriegsende restituiert, 1966 von der Gemeinde Altaussee erworben und 1992 erneuert und zum Kur- und Amtshaus ausgebaut. Es beherbergt neben der Gemeindeverwaltung, der Post und dem Tourismusbüro auch das Literaturmuseum mit Leseraum, Buchladen und Präsenzbibliothek.

http://literaturmuseum.at 

IN DEN BERGEN

Das Gebäudeensemble auf der weitläufigen Alm besteht aus mehreren Häusern und in der Umgebung verstreuten Sennerhütten. Der heutige Gasthof wurde 1988 erbaut. Das ältere Holzhaus nebenan besteht seit über 100 Jahren und ist Zeitzeuge der Ereignisse von 1938-1945. Die Männer der Widerstandsgruppe Willy-Fred am Igel wurden gelegentlich durch Frauen und Bauern aus der Umgebung über Depots vom Gelände der Blaa Alm und Rettenbach Alm mit Lebensmitteln versorgt.

Die Almbewohner waren nicht eingeweiht, das wäre zu gefährlich gewesen. Adolf Eichmann begann hier im Frühjahr 1945 seine Flucht, die ihn über Norddeutschland und Südtirol auf der sogenannten Rattenlinie nach Buenos Aires/Argentinien führte. Der SS-Obersturmbannführer war in zentraler Position mitverantwortlich für die Deportation und systematische Vernichtung von schätzungsweise sechs Millionen Juden. Seine Frau lebte mit drei Kindern für mehrere Jahre bis 1952 unter ihrem Mädchennamen Veronika Liebelt in Altaussee und folgte dann ihrem Mann. Eichmann wurde 1960 von einem israelischen Geheimkommando aus Argentinien nach Jerusalem entführt und nach einem Aufsehen erregenden Prozess 1962 hingerichtet.

ÜBER DIE ARBEIT VON CLEGG & GUTTMANN

Mit den Mitteln der Fotografie, der Installations- und Objektkunst analysieren Clegg & Guttmann die Strukturen gesellschaftlicher Macht und ihre Repräsentation.

Clegg_Guttmann-Arbeit1-rgbDies kann zu Entwürfen von monumentaler Größe führen, die das öffentliche Gedenken und die problematische Frage nach einer nationalen Identität zum Thema machen, wie mit Monument of Monuments for Unity & Freedom (2010) als Vorschlag für einen öffentlichen Wettbewerb in Berlin. Das geschieht aber auch virtuos im klassischen Genre der Portraitkunst, denn die Ästhetik des Würdebilds unterhält seit Renaissance und Barock enge Verbindungen zu Politik und Herrschaft.

In einem Portrait versammeln sich wie in einer Landschaft nicht nur die individuellen Charakterzüge einer Person oder einer Gruppe von Menschen, sondern auch deren Machtanspruch und Anzeichen ihrer gesellschaftlichen Stellung. Ebenso subtil wie offensichtlich arrangiert, übernehmen bei Clegg & Guttmann Modelle, überwiegend aus ihrem Bekanntenkreis, eine bestimmte Rolle zum Beispiel in Familien-, Firmen- oder Künstlerportraits. Sie werden zu Zeichenträgern vor einem künstlich eingeblendeten Hintergrund, der Fragmente aus anderen Bildtraditionen zusammenfügt. Die Portraitbilder werden so zu vielschichtigen Analysen der Selbst-Repräsentation im Kontext der sozialen Welt und sie sind eingebunden in ein konzeptuelle Kunstauffassung der beiden Künstler, die ein weiteres Feld für Reflexionen über Medium, Bild und Abgebildetes schafft.

Clegg & Guttmann stellen Verbindungen zwischen Bildflächen, dreidimensionalen Objekten und deren räumlicher Anordnung her und sprechen damit gezielt soziale Gemeinschaften an. So wurden ihre frei zugänglich installierten Büchervitrinen Offene Bibliothek1 seit 1991 für den öffentlichen Gebrauch und verschiedene Orte entwickelt. Jeder Nutzer oder jede Nutzerin darf Bücher aus den Bücherschränken herausnehmen und ist insbesondere eingeladen, auch eigene hinein zu stellen. Der aktivierende Einbezug der Betrachterinnen und Betrachter ist ein fast durchgängiges Prinzip bei Clegg & Guttmanns künstlerischen Werken. Mit den Nutzern der öffentlichen sozialen Skulpturen und Installationen zeichnen sie ein vages kollektives Bild einer Gruppe, eines Ortes oder eines Stadtteils.

In Altaussee werden Clegg & Guttmann im Literaturmuseum Regale mit Literatur zum Thema Politische Landschaft installieren, aus der Ausseer Bürgerinnen und Bürger sowie Reisegäste ausgewählte Passagen vorlesen können. Die Lesungen werden per Mikrophon in die Berge übertragen. In der Nähe der Blaa-Alm ist eine Empfangsstation aufgebaut, die das Signal an einen Lautsprecher im Wald sendet. Passanten, die zufällig dort vorbeikommen, können der Lesung zuhören.

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1 Eine Offene Bibliothek stand 1991 in Graz, ab 1993 in Hamburg, 2001 im Augsburger Hofgarten oder seit 2004 auf dem Jüdischen Friedhof in Krems. Achim Könneke (Hg.): Clegg & Guttmann: die Offene Bibliothek/The Open Public Library. Ostfildern 1994.