IGEL und Widerstand

Zwischen Blaa-Alm und Ischler Hütte, einige Höhenmeter vom Nagl-Steig entfernt und abseits der bekannten Wanderwege, findet sich eine Art Mulde zwischen Bäumen und Felsen, mit großartigem Ausblick auf das Tal. Hier versteckten sich oppositionelle Österreicher vor ihren nationalsozialistischen Verfolgern.

Das Verdienst, den Widerstand gegen das NS-Regime in der Region Salzkammergut aufgearbeitet zu haben, kommt zweifelsohne dem 1993 verstorbenen Professor Peter Kammerstätter zu1. In jahrelangen Recherchen, vorwiegend Zeitzeugeninterviews, gelang es ihm, Daten und Fakten zu sammeln und somit dieses Kapitel der Zeitgeschichte der Nachwelt zu bewahren.2 Im Fall der Widerstandsgruppe im Toten Gebirge (1944-1945), die von den NS-Behörden nie aufgespürt wurde, sind kaum schriftliche Quellen überliefert. Die Forschung stützt sich deswegen vorwiegend auf Zeugenaussagen3 der damals Beteiligten sowie autobiographische Texte.4

Die historische Bedingtheit des Widerstands im Salzkammergut hat ihre Wurzeln in einer sich früh entwickelnden Arbeiterbewegung. Durch die jahrhundertelange Salzgewinnung in den Orten Bad Aussee, Altaussee, Hallstatt, Bad Ischl und Ebensee entstand spätestens Mitte des 19. Jahrhunderts eine selbstbewusste Lohnarbeiterschaft, die gegen die soziale Benachteiligung zu Protestmaßnahmen gegenüber der Obrigkeit bereit war. Nicht ohne Grund entstanden die ersten Arbeiterbildungs- und Konsumvereine in den Jahren ab 1867 in der Region des Salzkammergutes.5

Hungerproteste und Streiks in allen Salzkammergutgemeinden unmittelbar nach dem Ersten Weltkrieg sowie schließlich der Kampf um demokratische Errungenschaften der Republik im Februar 1934 in Ebensee sind auf die widerständige Tradition des Salzkammergutes zurückzuführen. Schon unter dem austrofaschistischen Regime6 und mehr noch in den Jahren 1938-1945 waren Mitglieder der 1933 verbotenen Kommunistischen Partei zum Widerstand bereit.

Neben dem „Kommunistischen Jugendverband Bad Ischl“, dessen Mitglieder bis zu ihrer Verhaftung im März 1941 durch Flugblattaktionen gegen das NS-Regime protestierten, ist vor allem die Gruppe um den Interbrigadisten Sepp Plieseis von historischer Bedeutung. Josef Plieseis, in Lauffen bei Bad Ischl geboren, konnte im Oktober 1943 aus dem Dachauer Außenlager Adnet bei Hallein mit Unterstützung von Agnes Primocic7 ins Salzkammergut fliehen. Alois Straubinger aus Goisern wurde von der Front weg verhaftet und ins Kreisgericht Wels eingeliefert, von wo aus ihm 1942 die Flucht gelang. Der bei den Steyr-Werken im Werkswiderstand agierende Ischler Karl Gitzoller war das dritte Mitglied der 1944 gegründeten Gruppe mit dem Tarnnamen „Willy-Fred“. Die Männer unterhielten enge Beziehungen nach Bad Aussee und Bad Ischl. Es sollten alle Gegner des NS-Regimes, auch aus konservativen und christlichen Kreisen, vernetzt werden. Im Frühling 1944 beschlossen die drei, sich ins Tote Gebirge zurückzuziehen, um die Gefährdung von Freunden im Tal, bei denen sie regelmäßig versteckt waren, zu minimieren. Die Männer und Frauen im Widerstand waren es gewohnt, die natürlichen Gegebenheiten der Salzkammergutlandschaft für sich zu nutzen. Schwer zugängliche Verstecke in den Bergen und in dichten Wäldern boten Schutz vor den nationalsozialistischen Verfolgern. Die Kenntnis aller Wege und Steige in der Umgebung sowie Orientierung in der Dunkelheit und bei ungünstigen klimatischen Bedingungen waren lebensnotwendig. Ihre Erfahrung im „Wildern“, also dem illegalen Abschuss von Hirschen, Gämsen und Rehen, sicherte die Lebensgrundlage.

Igel 2Der damalige Revierjäger empfahl ihnen einen abgelegenen Platz abseits von frequentierten Wegen, nachdem sich sein Sohn dem Widerstand angeschlossen hatte. Zuallererst vergewisserten sie sich, dass etwaiger Rauch von einer lebensnotwendigen Feuerstelle von gegenüberliegenden Almen nicht gesehen werden konnte und erst dann begannen die Männer mit der Errichtung ihres Stützpunktes. Allerlei Werkzeug zum Fällen und Bewegen von Bäumen musste über den sogenannten „Naglsteig“, eine steil zu erklimmende Felswand, auf den Berg geschafft werden. In der Folge begannen sie mit der Errichtung ihres Stützpunktes, der wegen der Anwesenheit einer Igelfamilie beim Bau den Tarnnamen „Igel“ erhielt. Es handelte sich um eine durch Erdreich und Äste perfekt getarnte höhlenartige Hütte, die letztendlich bis zu 15 Männern Unterkunft bot. Eine Tür, ein Fenster, ein Ofen, Geschirr und einfache hölzerne Liegeflächen mit Decken boten ein Mindestmaß an Bequemlichkeit. Immer mehr Männer, vor allem Deserteure schlossen sich der Bewegung an. Die Versorgung mit Mehl, Brot sowie Kartoffeln erfolgte insbesondere durch Frauen8 sowie Bauern aus der Umgebung vom Almgelände der Rettenbach- und Blaa-Alm aus. Gewildertes Fleisch wurde geselcht oder in Salz eingelegt, um es haltbar zu machen. Ohne dieses Netzwerk und ohne das hochriskante Engagement von Frauen und Männern im Tal wäre das Überleben am Berg nicht möglich gewesen.

Am „Igel“ war mit großer Sicherheit ein batteriebetriebenes Radio in Verwendung, um Frontnachrichten hören zu können. Die Bewegungsfreiheit der Männer blieb, abgesehen vom gelegentlichen Jagen und der Lieferung von Nahrungsmitteln, sehr eingeschränkt. Bei Schneelage durfte man das Umfeld des Stützpunktes nicht verlassen, um sichtbare Spuren zu vermeiden. Gegen den Lagerkoller hielt Plieseis politische Schulungen, offensichtlich auch Buchhaltungs- und Englischunterricht ab. Frauen war der Aufenthalt untersagt, um keine Rivalitäten zu provozieren. Nur Marianne Feldhammer war mehrmals am „Igel“, um dringende Nachrichten zu übermitteln.

Obwohl die jüngeren Männer für offensive Aktionen plädierten – die Sprengung der Soleleitung oder der Salzkammergut-Bahn war in Diskussion –, wurde davon abgesehen, um den Verfolgungsdruck nicht weiter zu erhöhen. Die Gruppe am Berg blieb trotz mehrfacher Suchaktionen unentdeckt. Trotzdem wurde ein Mann von der Gestapo ermordet. Karl Feldhammer war immer wieder im Tal, um Vorräte zu holen und seine Frau und Tochter zu sehen. Am 6. Jänner 1945 wurde er zu Hause erschossen.9

Die Männer und Frauen in der Widerstandsbewegung repräsentierten das „andere“ Österreich. Während die meisten sich arrangierten oder das Regime stützten, wählten sie den weitaus schwierigeren und gefährlicheren Weg. Keiner von den Beteiligten reklamierte für sich, ein Held oder eine Heroin zu sein. Es waren im Wesentlichen einfache, aber politisch bewusste Menschen, die den Nationalsozialismus als Unrechtsregime enttarnt hatten.

Die Widerstandsbewegung, die in den Tagen um die Befreiung Österreichs als „Österreichische Freiheitsbewegung“ agierte, löste sich in der Folge auf. Österreichweit durften sich Täter und Mitläufer sehr rasch, überlagert durch die Euphorie des Wiederaufbaus, als Opfer fühlen, während den tatsächlichen Opfern und den Frauen und Männern im Widerstand mit Skepsis entgegengetreten wurde.

Tatsache ist, dass der Einsatz dieser Männer und Frauen gegen das NS-Regime und für ein freies Österreich in der Nachkriegszeit nie entsprechend gewürdigt wurde. Umso mehr ist es den eingangs erwähnten Forschungsarbeiten von Professor Peter Kammerstätter zu verdanken, dass ihr Widerstand nicht in Vergessenheit gerät.

Wolfgang Quatember

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1 KZ-Verband OÖ (Hrsg.): Peter Kammerstätter. Biographie eines Widerstandskämpfers, Linz 2011
2 Peter Kammerstätter: Materialsammlung über die Widerstands- und Partisanenbewegung Willy-Fred im Oberen Salzkammergut-Ausseerland 1943-1945, Linz (o. J.)
3 Filmdokumente: Gerhard Botz, et. al.: Resistance in the Salzkammergut during the Third Reich. An Oral and Video History Project, Salzburg 1985; Ruth Beckermann: Der Igel (mit Studenten des History Workshop Salzburg; 37 min) mit Leni Egger, Resi Pesendorfer, Maria Plieseis (1985); Max Stelzhammer: „Ich hab’ nur meine Pflicht getan“, Videodokumentation zum Widerstand im Salzkammergut, 1988; Widerstand im Salzkammergut. Geschichte und Erinnerung. Eine Sammlung von Zeitzeugeninterviews und Kommentaren, Zeitgeschichte Museum Ebensee 2010
4 Sepp Plieseis: Vom Ebro zum Dachstein. Lebenskampf eines österreichischen Arbeiters, Linz, Verlag Neue Zeit, 1946, Neuauflagen unter dem Titel Partisan der Berge, Berlin 1971; später Globus-Verlag, Wien, 1987; Albrecht Gaiswinkler: Der Sprung in die Freiheit, Wien 1947; Emmerich Pöchmüller: Weltkunstschätze in Gefahr, Salzburg 1948
5 Vgl. Gerhart Baron: Der Beginn. Die Anfänge der Arbeiterbildungsvereine in Oberösterreich, Linz 1971
6 Zur Kommunistenrazzia auf der Hoisenrad Alm am 19. Mai 1936, siehe: W. Quatember, U. Felber, S. Rolinek: Das Salzkammergut. Seine politische Kultur in der Ersten und Zweiten Republik, Grünbach 1999, S. 83
7 Agnes Primocic (1905-2007), Die Halleiner Tabakarbeiterin verhalf außer Sepp Plieseis auch Leo Jansa zur Flucht. Gemeinsam mit Mali Ziegleder gelang es ihr, 17 russische KZ-Häftlinge zu retten. Filmdokumentation, „Nicht stillhalten, wenn Unrecht geschieht“, Regie Uwe Bolius, 2002
8 Namentlich erwähnt seien Theresia Pesendorfer, Leni Egger, Marianne Feldhammer und Maria Plieseis
Ihre Biographien siehe auch in: Der Himmel ist blau. Kann sein. Frauen im Widerstand 1938-1945, K. Berger, E. Holzinger, L. Podgornik, L. Trallori (Hrsg.), Wien 1985
9 Das Ende eines langen Winters. TV-Spielfilm, 90 min, Regie Gernot Friedel, Drehbuch: Walter Wippersberg, ORF und ARD 1990