Unterschlupf (Schildkröte)
Naturverträgliche Farbe. Höhlenmalerei nach dem Agitationsplakat „Partisanen, zu den Waffen!“ Sowjetunion, Juli 1941

Eine Malerei auf Felsen im Toten Gebirge. Hüttner greift die räumliche Situation beim Igel auf und vergleicht sie mit dem Schutz durch eine Höhle. Sein Wandgemälde auf Naturstein in einem Unterschlupf am Naglsteig will das Vage, Ungewisse und zugleich unbequem Harte bis Schmerzhafte der historischen Situation zum Ausdruck bringen. Es zeigt ein Propagandamotiv aus dem russischen Partisanenkampf, „Partisanen, zu den Waffen!“, in ukrainischem Kyrillisch. Die Partisanen kämpften irregulär mit allen Mitteln gegen Hitler. Für den Eingang des Bergwerksgebäudes in Altaussee entsteht ein eigens angefertigtes Emaille-Schild. Hüttner zeigt im Kunsthaus eine großformatige Zeichnung zum selben Thema mit Tusche und Dispersion auf Papier.

Übersetzung des ukrainisch kyrillischen Partisanen-Aufrufs: Partisanen, zu den Waffen! Die Zeit ist gekommen, für jeden von uns, nimm Dein Leben in die Hand, erfülle die heilige Pflicht für das Vaterland, vor der Nation. Wo immer der Feind erscheint – dort muss er sein Grab finden. Jedes Haus und jedes Gebäude, jedes Dort und jeder Platz wird Hitlers grausamen Banden den Tod bringen. In die Schlacht! Für das Vaterland, für Ehre und Freiheit, für Stalin!

IM TAL

Hüttner-bild2-rgbDas Salzbergwerk in Altaussee hat sich tief in den Sandling hineingegraben. Der 1717 Meter hohe, Gebirgsstock liegt gegenüber dem Loser und überragt Altaussee von Nordwesten. Salz wurde hier spätestens seit dem Mittelalter abgebaut, vermutlich jedoch bereits zur Römerzeit. Das Salzkammergut war seit dem 14. Jahrhundert hoheitlich den Habsburgern unterstellt. Die Bergwerke und Salinen blieben bis 1998 in staatlicher Hand. Der Salzberg sicherte den Menschen die Existenzgrundlage und vererbbare Arbeitsplätze. Wegen der Salzgewinnung konnten sie am Ort verbleiben und ihre Familien versorgen. Diese Besonderheit bereitete den Boden für ein spezielles Selbstverständnis und den Zusammenhalt der Bewohner in einer klimatisch schwierigen und entbehrungsreichen Bergregion.

Vom Igel sieht man das Knappenhaus der Bergarbeiter am Sandling. Es gab wohl vereinzelt lose Verbindungen zwischen Bergarbeitern und der Oppositionsgruppe um Sepp Plieseis. Man sagt, Unterstützer hätten vor dem Bau des Igel im Frühjahr 1944 bestätigt, dass vom Bergwerk aus kein Rauch zu erkennen gewesen sei, der die Widerständler hätte verraten können.

IN DEN BERGEN

Hüttner-bild3-rgbDer so genannte Widerstand im Ausseerland war kein militanter Partisanenkampf. Er bestand nicht nur aus antifaschistischer Untergrundarbeit und Organisation sondern auch aus Renitenz und Widerborstigkeit. Bei manch Einem folgte später Prahlerei und Anmaßung, um sich selbst in das beste Licht zu rücken oder der Bestrafung für Kollaboration zu entkommen. Die Frauen machten in der Regel weniger Aufheben um ihre gefährlichen Aktionen. Viele Informationen beruhen auf mündlicher Überlieferung, so genannter „Oral History“. Legenden und Mythen spinnen sich um die gut erforschte Geschichte mit ihrer objektivierten Erzählweise.

Dazu gehören der Partisanenmythos ebenso wie die Rettung der Kunstwerke im Salzberg, vergrabene Schätze im Vorgarten und die unglaubliche, aber wahre Geheimaktion zur Verhaftung von Joseph Goebbels. Vier ortsbekannte Männer sprangen im Auftrag des britischen Secret Service in der Nacht des 8. April 1945 mit dem Fallschirm und Ausrüstung über dem Ausseerland ab.

Hüttner-bild4-rgbDie Aktion scheiterte bevor sie losging. Sie landeten verstreut und weit entfernt im Tiefschnee des Feuerkogels beim Höllengebirge und mussten anschließend untertauchen. Daraus entstanden Legenden: Albrecht Gaiswinkler aus Bad Aussee, der die Fallschirmaktion angeführt hatte, behauptete, den Widerstand danach erst richtig formiert zu haben, was auch Sepp Plieseis für sich in Anspruch nimmt. Andere meinen, es habe gar kein organisierter Widerstand existiert.

ÜBER DIE ARBEIT VON FLORIAN HÜTTNER 

Hüttner verbindet Malerei mit Zeichnung. Vom Malen entlehnt er das große Format, die expressive Geste und das Handwerkszeug – mit der Spontaneität und Leichtigkeit der Zeichnung führt er sein Denken visuell zusammen.

Huettner-Arbeit-rgbDie großformatigen Blätter verzichten dabei weitgehend auf Farbe. Sein Strich wird häufig grob mit dem Pinsel aufgetragen, manche Feinzeichnung in Tusche bleibt dennoch erkennbar. Spuren von Bewegungsenergie stehen wie Grenzlinien auf dem Untergrund, die Fläche umreißen, einkreisen oder öffnen. Im Werk zeichnet sich Körperlichkeit ab. Hüttner überwindet die Bindung an die Fläche nicht wie in der modernen Malerei zum Beispiel durch Farbkontraste, sondern die zeichnerischen Arbeiten können buchstäblich raumgreifend werden. Maßstab, Proportion und Installation sind die räumlichen Parameter seiner Kunst. Viele Blätter entfalten sich oft erst vor dem verweilenden Auge. Schnell springt ein erster Eindruck über, aber die filigrane Unschärfe der Motive und Themen bedarf eingehender Betrachtung. Sie lässt auf spontane Schubumkehr schließen, Zögern und Überarbeitung, Grobheit und Delikatesse. Von der klassischen Planskizze über die Tuschezeichnung bis hin zu Fotografie und Video verwendet Hüttner Produktionsverfahren, um sowohl zu zeichnen als auch aufzuzeichnen. Seine Haltung ist zeitgenössisch. Er erweitert seine künstlerischen Mittel um die Massenmedien Plakat und Video bis hin zur Radiosendung.

Im Toten Gebirge möchte Hüttner eine Art Höhlenmalerei anfertigen. In einer Fuge beispielsweise, in einer Halbhöhle oder auch in einer Nische, die etwas geschützt und abgelegen ist. Höhlen können eine perfekte Zeitkapsel sein. Seine Felsmalerei wird plastisch, sie arbeitet auf und mit dem unebenen Grund. Sie wird in abbaubaren Farben oder Pigmenten aufgetragen werden und ist nicht für die Ewigkeit gedacht, sondern wird der natürlichen Veränderung ausgesetzt. Hüttner greift die räumliche Situation beim Igel auf, die er in ihrer Schutzfunktion mit einer Höhle in Beziehung setzt und an anderer Stelle einen Rückzugsort vergleichbar dem Igel herstellt. Er thematisiert den bis heute wichtigen Umstand, dass der Igel Erzählungen und Legenden hervorgebracht hat und wie ein Mythos in der heimischen Geschichte verankert ist. Sein Wandgemälde will das Vage, Ungewisse und zugleich Harte bis Schmerzhafte der historischen Situation zum Ausdruck bringen. Für die Saline in Altaussee entsteht ein Hinweis auf den Ort im Gebirge.