Lärchen und Steine
Fünf Lärchensetzlinge, Betonguss, Steine, Erdboden

Verwachsungen von Lärchen sind unter anderem auf die Last des Schnees, seine langsame Schmelze und die zeitgleich beginnende Wachstumsperiode im Hochgebirge zurückzuführen. Bäume werden in skurrile Formen gepresst. Loderer zwingt mit ihrer Installation junge Baumsetzlinge durch Druck und Gewicht von Steinen und Beton in eine unnatürliche Gestalt. Im Kunsthaus sind eigene Baumskulpturen für den Innenraum zu sehen.

IM TAL

Loderer-bild2-rgbDie Aussicht hieß früher „Großer Künstlerblick“. Die so genannte Kerry Villa am Fuße des Loser gehörte der jüdischen Künstlerin Christel Kerry. Ihr Vater hatte das Haus 1896 errichtet als die höchstgelegene Villa in Altaussee. Man genießt von der Anhöhe einen prachtvollen Blick über das lichtdurchflutete Tal mit seinem idyllischen Kurort und weiter auf den Altausseer See bis hin zum fernen Dachstein. Über den zu erahnenden Pötschenpass im Nordwesten kamen am 9. Mai 1945 die ersten amerikanischen Soldaten zur Befreiung nach Altaussee.

1938 wurde Christel Kerry wie viele andere Juden enteignet, durfte aber mit ihrer Tochter und einer Art Passierschein im Ort bleiben Die SS nahm Quartier in ihrer Villa. Sie und die Gestapo hielten einen starken Verfolgungsdruck in der gesamten Region aufrecht. Es gab mehrere Razzien und viele Durchsuchungen. Im April 1945 kam Ernst Kaltenbrunner dazu, der damalige Chef des Reichssicherheitshauptamtes. Seine junge Geliebte, Gräfin Gisela von Westarp, lebte dort bereits seit dem Herbst. Sie hatte in Aussee ihrer beider Zwillinge geboren. Kaltenbrunner versuchte im Chaos der letzten Kriegstage ungeschoren davon zu kommen und ließ dafür große Bestände an Gold, Münzen und Fremdwährungen vergraben. Am 12. April 1945 wurde er auf der Wildensee Alm mit Hilfe einiger Widerständler ergriffen und ein Jahr später in Nürnberg hingerichtet.

IN DEN BERGEN

Loderer-bild3-rgbDie heutige Bundeslandgrenze zwischen der Steiermark und Oberösterreich verläuft über den Ahornkogel (1401 m) entlang des Beerensattels. Der Schwarzenberganger wird bis heute als Weidefläche genutzt. In dieser Höhe wachsen nur noch Lärchen und andere Nadelbäume. Der Hang war früher dicht bewachsen, wurde aber durch den Orkan Kyrill 2007 stark gelichtet.

Der Igel lag etwa 120 Höhenmeter unterhalb des Beerensattels. Der Verfolgungsdruck war mit Durchsuchungen und Razzien zum Ende des Dritten Reichs sehr hoch. Immer wieder versteckten sich Menschen in abgelegenen Hütten oder Almen. Viele hatten Angst vor Verrat. Unterstützung war lebensgefährlich. Die damaligen Betreiber der Blaa Alm und Ischler Hütte sollen eher mit den Machthabern sympathisiert haben. Dennoch bestanden Depots für die Widerständler am Igel nahe der Rettenbachalm und Blaa Alm. Frauen wie Maria Plieseis, Leni Egger und Marianne Feldhammer, wenige Almbauern und andere Unterstützer haben die Männer im Unterschlupf mit Informationen, einmal gar mit einer Waffe und immer wieder mit frischer Nahrung versorgt. Gewildertes Fleisch wurde gegen Geselchtes getauscht. Marianne Feldhammer kannte als einzige Frau den Aufstieg zum Igel über den Naglsteig von Altaussee her. Bergerfahrene Frauen waren in dieser Zeit selten.

ÜBER DIE ARBEIT VON ANGELIKA LODERER

Die steirische Bildhauerin macht Techniken, Materialien und Formen der skulpturalen Gestaltung immer wieder zum Thema ihrer Kunst.

Loderer-Arbeit-rgbDas Abgießen, Gießen, Schöpfen, Schichten, Pressen wie es im Handwerk praktiziert wird überträgt sie in freie, abstrakte bis gegenstandlose Formen. Wenn wir in Geschichte eingeschlossen sind wie gefrorene Blitze in einen Moment der Zeit, dann gibt es immer wieder überhistorische Phänomene und Ereignisse, die uns von der Last dieser menschlichen Beschränkung wieder befreien. Forschung und Kunst sind zwei solcher Methoden, auf praktische Art zu versuchen, Abstand zu den Fallen der Historie zu halten. Bestimmte Künstlerinnen und Künstler experimentieren mit bekannten Verfahren, sie entdecken dabei neue Wege, gehen ein Wagnis ein mit Montage oder Re-Kontextualisierung. Angelika Loderer zählt zu diesen Neugierigen, die, gut ausgebildet im Kanon der Handfertigkeiten, Momente spielerischer Experimente finden, die jeglicher Funktion spotten, ohne sich an die schöne Form des Selbstzwecks zu verraten. Sie presst Quarzsand aus dem Bronzeguss in eigene Materialcollagen mit Versatzstücken aus Dingen des Alltags (Untitled, 2013) oder auch Fragmenten anderer Kunstwerke (Untitled [With Dejan Dukic], 2014). Sie gießt fragile Maulwurfgänge (Schüttlöcher, 2012) oder grobe Spechthöhlen (Untitled, [Buntspecht I-III], 2013) in Bronze, die eine atemberaubende Komplexität im Detail aufweisen. Oder es entstehen langsam von innen verfaulende Totenmasken aus Gras, versehen mit Gipsüberschüttungen (Untitled. [Totenmasken], 2014).

Die Landschaft und Sozialgeschichte des Ausseerlandes regte Loderer an, mit Druck und Schwerkraft zu arbeiten. Materialer Druck, der in ca. 1000m Seehöhe bis zur Baumgrenze zu merkwürdigen Verformungen von Lärchen führen kann. Diese Verwachsungen sind unter anderem auf die Last des Schnees, die lange Schmelzperiode und die zeitgleich beginnende Wachstumsperiode im Hochgebirge zurück zu führen. Junge Baumpflanzen werden in skurrile Formen gepresst. Loderer zwingt junge Baumsetzlinge in unnatürliche Gestalt. Ihre natürlichen Skulpturen lassen auf die zivilisatorische wie politische Entwicklung dieser Gegend rückschließen und im Speziellen auf die menschenverachtenden Folgen des Verfolgungsdrucks eines totalitären Regimes, der sowohl im Tal wie auch im Hochland deutliche, aber nicht sofort sichtbare Spuren hinterlassen hat.