Das Tote Gebirge – etwas Besonderes?

„Nomen est omen“ heißt es seit alters her. Für eine Landschaft gilt das in besonderem Maße und dennoch ist ein Name niemals eine einfache Bezeichnung, sondern so lebendig wie alles, was wächst.

hochegger1Schon der Name dieses Gebirgsstocks mit den schwerwiegend klingenden Wörtern wie „Tot“ und „Gebirge“ hinterlässt Fragen und auch den sofortigen Eindruck von Bedeutung. Der Name leitet sich vermutlich von dem stark verkarsteten Hochplateau ab, wo Regen und Schnee im Karstsystem rasch versickern, sodass das Gebirge besonders im östlichen Teil sehr wasserarm ist. Eine andere Theorie für die Herkunft des Namens geht von der historischen Bedeutung des Gebietes für den Salzbergbau aus. Seit dem 11. Jahrhundert wurde im Bereich des Sandlingmassivs im Südwesten des Toten Gebirges Salz abgebaut. Das daran anschließende Tote Gebirge jedoch enthält kein Salz und könnte in diesem Sinne als taub oder tot bezeichnet worden sein.

Vielleicht war es jedoch die Wahrnehmung des unwirtlichen, einsamen, vom Menschen nicht besiedelbaren Hochplateaus, die diesen Namen geprägt hat. Eine Wahrnehmung, die zum Beispiel auch in den Worten Erzherzog Johanns anklingt: „Wer ein guter Bergsteiger ist, dem rathe ich diese Wüstenei zu besuchen … frei ist der Athem und man denkt sich auch frei, da man so hoch über den übrigen erhoben ist … jeder Gedanke an die große Welt, jeder Kummer schwindet hier.“ (aus dem Vorwort von Lutz Maurer in: Lutz Maurer: Mein Zauberberg, Grundlseer Schriften, Band 2)

Das Tote Gebirge ist einer der markantesten Karststöcke der Nördlichen Kalkalpen. Der Gebirgsstock ist durch ein ausgedehntes Hochplateau gekennzeichnet und weistHochegger2-rgb auf steirischer Seite steile Felsabstürze auf. Mit 300 Quadratkilometern zählt es zu den größten Karsthochflächen Europas. Die Gipfelhöhen des Gebietes steigen von Süden nach Norden und von Westen nach Osten an und erreichen im Nordosten mit dem Großen Priel (2.515 Meter) ihren höchsten Punkt. Die gesamte Plateaufläche wird durch ein unterirdisches Karstwassernetz entwässert, das in den Tälern in Form von großen Quellen zu Tage tritt.

Zu den Erscheinungsformen des Karstes zählen neben Dolinen – das sind Einbruchstrichter – Spalten, Schächte, Karren und vor allem die vielen Höhlensysteme. Über 600 Höhlen sind in dem Gebiet registriert, viele davon noch nicht erforscht und alle unter strengen Schutz gestellt. Zu den weltweit längsten Höhlen zählt das Schönberg-Höhlensystem im westlichen Teil des Toten Gebirges mit einer vermessenen Länge von 135 Kilometer bei einer Tiefe von 1.061 Meter.

Zur Geologie des Toten Gebirges

Hochegger3-rgbKalke und Dolomite bilden den Hauptteil des Gebirges. Diese entstanden in den Meeren des Mesozoikum, der Trias und der Jura vor ungefähr 210 bis 135 Millionen Jahren. Der Dachsteinkalk, ein hellgraues bis weißes, leicht verwitterbares Gestein, wurde im 19. Jahrhundert erstmals von Friedrich Simony beschrieben und nach dem aus diesem Gestein bestehenden Dachstein benannt. Bekannte Fossilien des Dachsteinkalkes sind die sogenannten Kuhtrittmuscheln, Megalodonten, deren versteinerte Querschnitte wirklich die Form von Kuhtritten haben. Sie zeugen davon, dass die Karstfläche einmal Meeresboden war. Es wird vermutet, dass die Megalodonten eine ähnliche Lebensweise hatten wie die heutigen Riesenmuscheln des Indischen Ozeans.

Das Tote Gebirge und sein Umfeld sind der niederschlagsreichste Teil der Steiermark. Durch Staueffekte bei regenbringenden West- und Nordwestlagen können große Niederschlagsmengen mit lokalen Unterschieden zustande kommen. Für die Hochlagen ist mit 2.000 bis 3.000 Millimeter Jahresniederschlag zu rechnen. Und auch der lange Winter mit einer durchschnittlichen Schneeverweildauer von 5 bis 6 Monaten prägt das Gebiet. In den größeren Karsthohlformen treten infolge Temperaturumkehr Kälteseebildungen auf. An einigen Stellen kommt es aus demselben Grund zur Ausbildung von sogenannten Eishöhlen und Karstlöchern, in denen das ganze Jahr hindurch Eis liegen bleibt.

Die Vegetation des Hochplateaus

Hochegger4-rgbDie Wälder des Gebietes gehören alle zur subalpinen Stufe, es handelt sich um Nadelwälder mit wechselnden Anteilen an Fichte, Lärche und Zirbe. Durch die Besonderheiten des Karstes und die traditionelle Weidenutzung ergibt sich der lockere, parkartige Waldcharakter.

Der Übergang vom Wald zu den waldfreien Flächen, die sogenannte Kampfzone des Waldes und der Krummholzgürtel, vollzieht sich durch den lichten Charakter der Wälder ohne klare Grenzlinie. Von oben her dringen an Sonderstandorten wie etwa Felsköpfen die Latschengebüsche ein, in höheren Lagen dominieren die Latschen und nur noch vereinzelte Bäume sind zu sehen. Dabei vollzieht sich auch ein Wechsel in der Baumartenzusammensetzung: Fichte und Lärche treten zugunsten der Zirbe zurück. Die höchsten Vorposten des Waldes werden daher von Zirben dominiert.

Auch die Krummholzgrenze ist keine deutliche Grenzlinie, abhängig von Boden und Exposition gehen die Latschen in einer langen und aufgelösten Grenzlinie in die alpinen Rasen über. Deutlich schärfer sind die Grenzen im Bereich der Almen ausgeprägt, wo die Latschen geschwendet und zurückgedrängt werden.

An der Waldgrenze wird das Baumwachstum stark gebremst. Wegen der Kürze der Vegetationsperiode und aufgrund des hier meist stärker wehenden Windes kommt es zu verkrüppelten Baumformen, daher die Bezeichnung Krummholzzone oder Kampfzone des Waldes. Die lang anhaltende Schneedecke und der Druck [Link Projekt Loderer]der Schneelast machen es den Gehölzen zunehmend schwer, in aufrechter Form zu wachsen. Viele Formen des Krüppelwuchses kennzeichnen daher die Höhenstufen von 1.600 bis 1.900 Meter. Bizarre Kronen- und Stammformen, aber auch unregelmäßige Jahrringbilder sind sichtbare Zeugen der harten Auseinandersetzung des Baumes mit seiner Umwelt. Besonders die Latschen können aufgrund ihres niedrigen, krummen Wuchses und ihren biegsamen Zweige und Äste den rauen Klimabedingungen dieser Höhenlage standhalten.

Die besonders schützenswerten und artenreichen Lebensräume des Toten Gebirges gaben Anlass, das Gebiet im Jahre 1992 per Verordnung als strenges Naturschutzgebiet mit einer Kern- und einer Randzone zu definieren. In der Kernzone ist die forstwirtschaftliche Nutzung untersagt. Die Wälder in dem Gebiet sind heute an die 200 Jahre außer Nutzung gestellt. 2006 folgte die Verordnung zum Europaschutzgebiet nach der Fauna-Flora-Habitat- und Vogelschutzrichtlinie. Einige Vogelarten werden als besondere Schutzgüter definiert: Ihr Vorkommen ist – auch für ganz Europa gesehen – so wichtig, dass sie nicht verringert werden sollen. Dazu zählen beispielsweise Birkhuhn und Auerhuhn, Steinadler und verschiedene Specht-Arten.

Traditionelle, extensive Almwirtschaft prägt seit Jahrhunderten die Landschaft des Hochplateaus und wird auch durch den NaturschutzHochegger5-rgb so weit wie möglich gefördert. Das Schutzgebiet mit einer Gesamtgröße von rund 24.000 Hektar gehört zu den wenigen Landschaftsräumen Österreichs, die nicht erschlossen sind. Die Besitzer, im Westen die Österreichischen Bundesforste und im Osten Baron von Baumbach, tragen die nicht ganz einfache Verantwortung, diese hochwertige Naturlandschaft in ihrer Ursprünglichkeit zu erhalten.

Karin Hochegger