Einige Thesen zum Zweiten Weltkrieg und seinen Nachwirkungen

Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg veränderten die politische, soziale und kulturelle Landschaft Europas nachhaltig. Auch kleine Regionen wie das Salzkammergut, die bis zuletzt weitgehend von militärischen Kriegshandlungen verschont geblieben waren, bekamen die Folgen der „großen“ Ereignisse vor allem in der Endphase des Krieges immer deutlicher zu spüren. Die Erinnerung an das Geschehene wurde nach dem Krieg mythologisiert und erst Jahrzehnte später, oft in heftigen Debatten, kritisch hinterfragt.

Ein brutaler Frieden

Der Zweite Weltkrieg war der Höhepunkt einer seit Anfang des 20. Jahrhunderts andauernden und zunehmenden Phase der Gewalt in Europa, eines zweiten Dreißigjährigen Kriegs. Die militärischen Auseinandersetzungen, Eroberungen und Schlachten waren nur ein Teil dieses Konflikts. Der Zweite Weltkrieg war vor allem ein Krieg gegen die Zivilbevölkerung, ein Vernichtungs- und „Rassenkrieg“, in dem zahlreiche ethnische und religiöse Gruppen verfolgt und ermordet wurden. Etwa die Hälfte der ca. 40 Millionen der Opfer in Europa waren Zivilpersonen, davon etwa sechs Millionen Juden. Der Zweite Weltkrieg war auch ein europäischer Bürgerkrieg, in dem in jedem einzelnen Land um die zukünftige politische Ordnung – Faschismus, Kommunismus oder liberale Demokratie – gekämpft wurde. Nicht zuletzt brachte der Krieg auch soziale Umwälzungen, mit der die europäischen Gesellschaften zutiefst verändert wurden. Genozid, Vertreibungen und Bevölkerungsaustausch waren die Antwort auf die Konflikte um nationale Minderheiten in den Jahrzehnten zuvor und führten zur Entstehung ethnisch homogener Nationalstaaten.

Der Krieg kommt heim

Österreich blieb von Kriegshandlungen weitgehend verschont. Zahlreiche Städte waren zwar bereits ab Sommer 1943 Ziel alliierter Bombenangriffe geworden. Alliierte Bodentruppen betraten österreichisches Gebiet jedoch erst am 29. März 1945, als die Rote Armee die Eroberung Wiens begann. Größere Kämpfe fanden deshalb nur in Ostösterreich statt; der Einmarsch der Westalliierten in den ersten Maitagen 1945 verlief weitgehend ohne Kampfhandlungen. Briten und Amerikaner waren allerdings davon ausgegangen, dass sich große deutsche Verbände in der so genannten Alpenfestung zum Kampf um den „Endsieg“ verschanzt hielten. Tatsächlich waren zahlreiche militärische Verbände des Deutschen Reichs und kollaborierende Truppen in die letzten noch nicht von den Alliierten besetzten Gebiete geströmt. Die Alpenfestung erwies sich aber in weiten Teilen als strategischer Mythos, hatte Hitler doch erst zwei Tage vor seinem Selbstmord den Befehl zum Ausbau einer solchen Festung erteilt.

Viel stärker betroffen war Österreich dagegen von den sogenannten Endphaseverbrechen. Der Terror der Nationalsozialisten verschärfte sich in der Endphase des Krieges gegen alle Gruppen, die sich in ihrer Gewalt befanden und wütete gegen KZ-Häftlinge, jüdische und slawische Zwangsarbeiter, politische Gegner, die in Konzentrations- oder Zwangsarbeitslagern interniert waren. Etwa 20.000 jüdische Zwangsarbeiter wurden auf Todesmärschen vom Südostwall an der österreichisch-ungarischen Grenze in das KZ Mauthausen getrieben, Tausende auf dem Weg ermordet. KZ-Häftlinge der im Osten und Süden Österreichs gelegenen Außenlager des KZ Mauthausen wurden zumeist in Fußmärschen evakuiert und Hunderte auf dem Weg nach Mauthausen oder den verbliebenen Außenlagern wie Ebensee ermordet. Der Terror richtete sich zunehmend gegen die eigene Bevölkerung: Wer den Kampf um den „Endsieg“ nicht mehr unterstützen wollte, riskierte von Feldgerichten oder SS-Einheiten als Deserteur oder Widerstandskämpfer hingerichtet zu werden. Bei Kriegsende war der Osten Österreichs von Massengräbern übersät.

Die schwierige Erinnerung

Wie gehen ein Land bzw. seine Menschen mit einer solchen Vergangenheit um? In Österreich findet sich die erste Deutung dessen, was in den Jahren zuvor geschehen war, bereits in der Unabhängigkeitserklärung vom 27. April 1945. Der weithin willkommen geheißene „Anschluss“ von 1938 wurde als durch militärische Bedrohung, Terror und Besetzung „aufgezwungen“ interpretiert. Hitler habe „das macht- und willenlos gemachte Volk Österreichs in einen sinn- und aussichtslosen Eroberungskrieg geführt, den kein Österreicher jemals gewollt hat“. Dies war der Beginn der Opferthese, wonach Österreich das erste Opfer der nationalsozialistischen Expansionspolitik gewesen sei. Nur eine „hochverräterische“ Minderheit hätte den Nationalsozialismus unterstützt.

Die Opferthese hatte zwei Funktionen: eine außen- und eine innenpolitische. Außenpolitisch stützte sie sich auf die Moskauer Deklaration der Alliierten von 1943, in der die Alliierten sich verständigt hatten, Österreich als unabhängiges Land wiederherzustellen. Die Opferthese stützte das Ziel, sobald wie möglich die alliierte Besatzung zu beenden und einen Staatsvertrag abschließen zu können. Innenpolitisch diente die Opferthese dazu, die tiefen Gräben zwischen den politischen Lagern, vor allem Sozialdemokraten und Konservativen, zu überbrücken, die sich in der Zwischenkriegszeit auf das Heftigste bekämpft hatten. Der „Geist der Lagerstraße“, das heißt die gemeinsame Erfahrung der Verfolgung durch die Nazis, habe, so die These, diese Gräben verschüttet und zum Konsens geführt, Österreich gemeinsam neu aufzubauen.

Prenninger 3Statt über die schwierige Erinnerung an das „Tausendjährige Reich“ zu sprechen, wurde bald nach 1945 das „Tausendjährige Österreich“ gefeiert. Die Sissi-Filme der 1950er Jahre bedienten perfekt das Klischee von der guten alten Zeit. Sie zeigen bei genauerem Hinsehen jedoch auch, dass Männer alles falsch machen und Frauen die eigentlichen Entscheidungen treffen. Dies ist ein deutlicher Hinweis, wie sehr sich durch den Krieg auch die Geschlechterrollen verändert hatten.

Die Waldheim-Affäre 1986 wurde zum Auslöser, die Opferthese erstmals auch offiziell kritisch zu hinterfragen. Erst vierzig Jahre nach Kriegsende konnte darüber gesprochen werden, dass viele Österreicher den „Anschluss“ 1938 begeistert begrüßt hatten, dass viele hochrangige Nationalsozialisten Österreicher waren, dass von der Beraubung, Vertreibung und Ermordung der österreichischen Juden viele profitiert hatten. Erst seit den 1990er Jahren wird in Österreich offiziell nicht mehr nur der eigenen Opfer, sondern auch der anderen Opfer, das heißt der ermordeten KZ-Häftlinge, Juden und Jüdinnen, Widerstandskämpfer und Wehrmachtsdeserteure gedacht. Obwohl bald nur noch wenige leben, die den Nationalsozialismus und Krieg bewusst erlebt haben, ist die Erinnerung an diese Zeit noch immer eine „schwierige“ Arbeit.

Alexander Prenninger