Anschluss, Verfolgung und Arisierung im Ausseerland

Der sogenannte „Anschluss“ Österreichs an das Dritte Reich war von langer Hand vorbereitet worden, und nachdem die staatliche Gewalt in Wien in der Hand der Nationalsozialisten war, dauerte es nur gut 2 Stunden, bis selbst in den entlegensten Regionen die Machtergreifung abgeschlossen war. Sofort wurde der Druck des totalitären Regimes auf alle Andersdenkenden deutlich spürbar. (weiter)

strobl1Als am 11. März 1938 um 19 Uhr der neu eingesetzte Bundeskanzler Arthur Seyß-Inquart (1892-1946, als verurteilter Kriegsverbrecher nach den Nürnberger Prozessen hingerichtet) im Rundfunk die Nationalsozialisten dazu aufrief, die Exekutive dabei zu unterstützen, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, handelte es sich um das Signal für die Machtergreifung auf lokaler Ebene. Die folgenden Ereignisse BR7C2721-Strobl2-rgbverliefen im Ausseerland nach gesamt-österreichischem Muster und zeigten in ihrem reibungslosen Ablauf, wie gut sich die Nationalsozialisten auf dieses vermeintlich unerwartete Ereignis vorbereitet hatten.

Die Exekutive in den Gemeinden rekrutierte sich 1938 bereits vielfach aus Nationalsozialisten; bei der örtlichen Frontmiliz1 verhielt es sich nicht anders. Die „Parteigenossen“, die keine Funktion in der Exekutive bekleideten, hatten sich in örtlichen Lokalen versammelt, um Seyß-Inquarts Ansprache gemeinsam zu hören. Daraufhin marschierten sie geschlossen zu den Gendarmerieposten, wo bereits alle nicht nationalsozialistischen Gendarmen und Mitglieder der Frontmiliz entwaffnet und die örtlichen SA-Mitglieder bewaffnet worden waren. Erklärte Nazi-Gegner, wie der Bad Ausseer Postenkommandant Valentin Tarra2, wurden sofort verhaftet. Die SA übernahm die Funktion der Exekutive, besetzte alle Amtsgebäude und patrouillierte durch die Gemeinden, um – gemäß Seyß-Inquarts Aufruf – für Ruhe und Ordnung zu sorgen.

Wie überall in Österreich war auch im Ausseerland um spätestens 21 Uhr die Machtergreifung abgeschlossen. Mit einer „rasch inszenierten Freudenfeier“ – mit Fackelzug, Blasmusik-Untermalung und einer „machtvollen Kundgebung“ – wurde dies von ca. 1.000 „Volksgenossen“ in Bad Aussee gefeiert. Zu offen widerständigen Handlungen gegen die Machtergreifung scheint es nicht gekommen zu sein – der Anschluss auf lokaler Ebene war reibungslos über die Bühne gegangen, schon Stunden bevor die ersten deutschen Truppen die österreichische Grenze überschritten hatten.

Der Anschluss bedeutete den Beginn nationalsozialistischer Verfolgung auch im Ausseerland. Nach den Festnahmen, die bereits am Abend des 11. März durchgeführt worden waren, kam es am folgenden Tag zu einer ersten Verhaftungswelle, in deren Verlauf Überführungen in ein KZ bereits wegen Lappalien beantragt wurden – bei einem Altausseer reichte es beispielsweise, dass er SA-Männer als „Lausbuben“ beschimpft hatte. Unter den ersten Inhaftierten fand sich auch der Jude Dr. Robert Weishut. Die ihm vorgeworfene KPÖ-Führerschaft konnte zwar nicht nachgewiesen werden, dennoch wurde er nach Graz und weiter ins KZ Buchenwald überstellt, da seine Anwesenheit „für die NSDAP Gliederung Bad Aussee untragbar“ gewesen sei. Im April 1939 wurde er entlassen und konnte ins Ausland fliehen.

Natürlich war Weishut nicht der einzige Jude im Ausseerland, der unter dem Nationalsozialismus zu leiden hatte. Zwar gab es – wie in manch anderen Orten – keine pogromartigen Ausschreitungen im Laufe des Anschlusses, doch wurden auch hier strenge Maßnahmen, wie zum Beispiel Amtsenthebungen, gegen alle Juden durchgeführt. Darüber hinaus wurde versucht, alles „Jüdische“ aus dem öffentlichen Raum zu entfernen: Der Gedenkstein mit der Aufschrift Für den unvergesslichen Freund und Forscher heimischen Brauchtums Konrad Mautner in Grundlsee wurde gesprengt, der nach ihm benannte Weg war von da an namenlos. Das Denkmal für den „Vater“ des Kurortes Bad Aussee, Dr. Josef Schreiber, wurde entfernt; Schreibers Tochter beging später Selbstmord, um einer Verhaftung durch die Gestapo zu entgehen.

Ganz besondere Begehrlichkeiten schürte der jüdische Hausbesitz im Ausseerland. Die abgelegene Region hatte sich bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts als Sommerfrische etabliert und dementsprechend viele wohlhabende Sommergäste angezogen – darunter viele Juden. Dies führte dazu, dass sich eine erhebliche Anzahl von Liegenschaften in den Ausseerland-Gemeinden, wie Sommervillen und dergleichen mehr, in jüdischem Besitz befanden. Da bereits im Mai die Gauleitung der Steiermark beschlossen hatte, dass die Sommerfrische von „Volksgenossen“ in Zukunft „nicht mehr durch die Anwesenheit von Juden gestört“ werden sollte und daher jüdische Gäste das Ausseerland nicht mehr besuchen durften, standen die Villen und Sommerhäuser leer3.

Obwohl die Enteignung von Hausbesitz die letzte Stufe der Arisierungsmaßnahmen darstellte, galt dies nicht für das Ausseerland, denn für die Sommerfrischen des Salzkammergutes galten Sonderregeln: Hier konnte auch an nicht bewohnten Liegenschaften, die im Besitz deutscher Staatsbürger waren, eine Enteignung vorgenommen werden. Durch das „Judenverbot“ der Gauleitung waren eben diese Voraussetzungen vielfach geschaffen worden. Insgesamt wurden durch diese Sonderregelung 76 Liegenschaften in den Ausseerland-Gemeinden „arisiert“. Nur wenige blieben wie die Malerin Christine Kerry (1885-1978) von Enteignung verschont. In der damals weithin bekannten Villa Kerry, gelegen oberhalb des Dorfes Altaussee an einem wunderschönen, ruhigen Plätzchen mit dem so genannten Großen Künstlerblick, waren vor 1938 viele namhafte Persönlichkeiten der Kulturwelt bei der ihr zu Gast. Die Dame aus jüdischer Familie konnte zwar in Altaussee verbleiben, musste aber den hochrangigen SS-Funktionär Ernst Kaltenbrunner sporadisch und seine Geliebte für längere Zeit beherbergen. Kaltenbrunner floh mit Kriegsende in das Tote Gebirge und wurde dort am 12. Mai 1945 verhaftet. Er wurde in den Nürnberger Prozessen mit dem Tode bestraft. Christine Kerry überlebte gemeinsam mit ihrer Mutter die NS-Zeit in einem anderen Haus in Altaussee – trotz eines Sprengstoffanschlages, der von einem Einheimischen gegen sie verübt wurde.

Anton Strobl

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1 Eine paramilitärische Einheit der Vaterländischen Front, die am 11. März 1938 vormittags in Alarmbereitschaft versetzt worden war, um einem etwaigen Einmarsch deutscher Truppen entgegenzutreten.
2 Tarra hatte sich bei der Niederschlagung des nationalsozialistischen Putschversuches 1934 einen Namen gemacht. Er betätigte sich später im örtlichen Widerstand.
3 Dieses Verbot hatte bereits 1938 einen eklatanten Rückgang der Zahl an Sommergästen zur Folge, was auch in den folgenden Jahren – vor allem nach Kriegsbeginn – nicht ausgeglichen werden konnte. Ironischerweise beklagen selbst die nationalsozialistischen Quellen diesen Umstand, was die zwiespältige Haltung (ideologischer Hass / wirtschaftliche Abhängigkeit) zeigt, die in Fremdenverkehrsorten bisweilen vorherrschte.