Politische Landschaft

Workshop zur Region / Mit transclaudia (Max Höfler und Johannes Schrettle, Graz), live schreiben und Realzeit-Übersetzen im Woferl-Stall

Landschaft wurde mit ihrer Beschreibung durch Petrarcas Blick vom Mont Ventoux im Jahr 1336 erstmals zur Kulisse und ist seither von besonderer kultureller Bedeutung.1

Das Gelingen der Rückversicherung von Natur als kulturelle Landschaft ist heute erschüttert.2 Ökologische und klimatische Eingriffe des industriellen Menschen werden in der Erdkruste auf Jahrmillionen nachweisbar sein und dadurch per se politisch. Vor diesem allgemeinen Hintergrund konzentriert sich das Projekt Politische Landschaft mit künstlerischen Beiträgen auf die Geschichte, die sozialen Räume und die landschaftlich geschützte Natur einer sehr speziellen sozialen, wirtschaftlich und historisch bedeutsamen Gegend in Österreich – dem Ausseerland im steirischen Salzkammergut.

Projekt

Die Berglandschaft birgt neben ihren malerischen Reizen auch eine kollektive politische Geschichte, die Mensch und Gegend nachhaltig geprägt hat. Sehr viele Aktivitäten für und gegen den Hitler-Faschismus sammelten sich Mitte der 1940er Jahre im heutigen Dreieck der Bundesländer Salzburg, Oberösterreich und Steiermark. Für Teile eines proto-partisanenartigen Widerstands wurden unzugängliche Bereiche des Hochgebirges zum mehrjährigen Rückzugsort. Nach dem Zusammenbruch des Regimes versteckten sich auch einige Nationalsozialisten für kurze Zeit in den Bergen oder lebten unerkannt in der Region. Wie unter einem Brennglas kulminierten die Ereignisse bis zum Mai 1945 um Kunstraub, Verrat, aktiven und passiven Widerstand, Flucht und Mord. Die Komplexität und Widersprüchlichkeit dieser Zeit hat normative Auswirkungen für unser politisches System bis heute, was immer weniger Menschen bewusst ist. 2015 jährt sich die Befreiung Europas vom nationalsozialistischen Totalitarismus zum Siebzigsten mal. Nur wenige Zeitzeugen werden dann noch am Leben sein.

Das Kunstprojekt Politische Landschaft ist der Versuch, das Thema Erinnerung und kollektives Gedächtnis im Kontext der spezifischen Landschaft des Salzkammerguts und seiner politischen Geschichte in mehreren Schritten neu zu platzieren. Ein Teil der Arbeiten wird im Tal, ein anderer Teil im Hochgebirge stattfinden, ein dritter Teil wird im Kunsthaus Graz präsentiert. Ziel ist es, durch künstlerische Recherchen einen breiten regionalen Diskurs über die politische Geschichte der Region anzustoßen, der Fragen der Erinnerung, des Gedenkens und dem Politischen von Landschaft und Alltagskultur aus heutiger zeitgenössischer und künstlerischer Sicht anspricht.

Das Projekt ist in drei Abschnitte gegliedert:

  1. In einem gemeinsamen Workshop in Bad Mitterndorf tauschen sich Künstler/innen und 266_kartenlesenKunsttheoretiker/innen mit regionalen Experten aus (August 2014). Teile des Workshops werden in Bad Mitterndorf und Aussee öffentlich sein.
  2. Die Gruppe der Künstler/innen und Kunsttheoretiker/innen wird anschließend einen Forschungsaufenthalt im Toten Gebirge absolvieren, um Material und Orte zu sondieren.
  3. Die Workshop-Ergebnisse aller Teilnehmer münden in sechs Projektvorschläge und ein Katalogbuch. Die Werke sollen von einer Person im Rucksack zum Aufbauort getragen werden können. Sie werden gezielt im thematischen Kontext der Landschaft platziert und schaffen die Verbindung zwischen den drei Präsentationsorten im Toten Gebirge, im Ausseer Tal und in der Stadt Graz. Das Buch enthält Wanderkarten und Hintergrundinformationen in Text und Bild.

Die Werke der Künstlerinnen und Künstler werden in Altaussee am 11. Juli 2015 eröffnet und sind dann bis mindestens Herbst 2016 zugänglich.

Im Rahmen einer Ausstellung zum Thema Landschaft gibt das Kunsthaus Graz vom 11. Juli bis Anfang September 2015 einen Vorgeschmack auf die Außenarbeiten im Ausseerland. Das Katalogbuch erscheint zur Eröffnung bei Sternberg Press, Berlin.

Konzept

Den Anstoß zu diesem Projekt gab die Künstlerin Eva Grubinger. Ihre Idee, historische Ereignisse und Orte zum Ausgangspunkt künstlerischer Überlegungen zu machen, lässt die Entwicklung der Region mit aktuellen Tendenzen im Kunstfeld verknüpfen. Künstler und Künstlerinnen bedienen sich schon lange verschiedenster Recherchemethoden und generieren Wissen auf nicht-wissenschaftlichem Weg. Dazu gehört seit jüngster Zeit auch die so genannte künstlerische Forschung. Der Zusatz „künstlerisch“ stellt diese offene Methode frei vom wissenschaftlichen Legitimationszwang. Sie ist somit ein Mittel, Kunst zu machen.

Im Rahmen des international geladenen Workshops mit Künstlern und regionalen Experten werden Aspekte der Geologie, Geschichte und Soziologie des Salzkammerguts sowie seiner aktuellen Regionalplanung vorgestellt, um historische mit zeitgenössischen Informationen zu verknüpfen.

Der interne Workshop wird in Zusammenarbeit mit Dr. Günther Marchner vom Netzwerk Salzkammergut (www.netzwerk-salzkammergut.net) vorbereitet und durchgeführt. Das Netzwerk wurde 1998 gegründet und stellt seither die Förderung von Wissenstransfer mit innovativen Impulsen für die Regionalentwicklung in den Mittelpunkt seiner Tätigkeit. Der sanierte und umgebaute Woferlstall in Bad Mitterndorf dient ab Sommer 2014 als Ort für Bildungs-, Kultur-, Wissenschafts- und Medienprojekte. Er ist für Tagungszwecke technisch ausgestattet und nahe dem Forschungsgebiet gelegen. Günther Marchner verfügt neben der Logistik über ein Kontaktnetzwerk mit ausgewiesenen Experten. Es sind Inputs zu folgenden Themen im Gespräch: Sozialgeschichte, Historie, traditionelle Handwerkstechniken, Regionalplanung, Forstwirtschaft, BR7C0577-Moellmann3-rgbWegesystem, künstlerische Forschung. Ziel des Workshops ist neben dem Wissenstransfer auch die frühzeitige Einbindung lokaler Personen und/oder Gruppen. Es sind zwei öffentliche Abendveranstaltungen im Woferlstall und in Altaussee geplant (die genaue Location steht noch nicht fest). Während des folgenden Abschnitts des Arbeitsaufenthalts wird die Region Ausseer Land mit Teilen des Toten Gebirges zu Fuß erkundet.

Für das Projekt wird die Berglandschaft im Salzkammergut weniger als eine naturhafte Gegebenheit aufgefasst, was sie selbstverständlich auch ist, sondern vielmehr als eine soziale Tatsache, die in Wechselwirkung mit menschlichem Handeln, Denken und Fühlen steht und ebenso historischen wie natürlichen Veränderungen unterliegt. Landschaft wandelt sich durch dieses Projekt von einem Substantiv in ein Verb oder von einem Gegenstand in eine Tätigkeit im öffentlichen Raum. Denn galt der öffentliche Raum bislang als ein klassisch innerstädtisches Terrain, so erreichen Veränderungen durch Urbanisierung heute auch Naturgegenden in Form von Tourismus, Verkehrsinfrastrukturen oder neue Technologien und Kommunikationsnetze. Es entspricht dem Auftrag des Instituts für Kunst im öffentlichen Raum in der Stadt und in der Region künstlerisch zu wirken. Das Hochgebirge oberhalb der Baumgrenze lässt sich nach § 5 des steiermärkischen Wegefreiheitsgesetzes von 1922 sogar als ein genuin öffentlicher Raum auffassen, weil er frei zugänglich ist.

Geschichte

Der politische Widerstand im Salzkammergut 1943-1945
Das Salzkammergut wurde bereits im 19. Jahrhundert zu einem beliebten Anziehungspunkt für erholungsbedürftige Stadtmenschen und gilt heute als eine der am besten erschlossenen Kultur- und Tourismusregionen Österreichs. Eingang Salzbergwerk Altaussee / entrance to salt mine Altaussee ©Olaf PascheitSeinen Namen verdankt die Region dem Salzabbau unter kaiserlicher Verwaltung. Eine bewegte Geschichte hat ihre Spuren in der Bilderbuch-Landschaft des Salzkammerguts hinterlassen. Mit ihr verbinden sich nicht nur Forstwirtschaft, Bergbau und Tourismus, sondern neben der Epoche der Romantik in Literatur und schöner Kunst auch politische Ereignisse in den Kriegszeiten der 1930-1940er Jahre. Salzstollen wurden zum Schutz der Menschen vor Fliegerangriffen genutzt als Bunker für Kunstraubgüter zweckentfremdet. Nur durch Befehlsverweigerung konnten diese Kulturwerte vor der Zerstörung durch die Nationalsozialisten in den letzten Kriegstagen gerettet werden. Von manchem tiefen See geht die Legende versunkener Nazi-Schätze um, aber die Berge waren auch Rückzugsgebiet und Fluchtort für den österreichischen Widerstand gegen die Diktatur des Dritten Reichs, was weit weniger bekannt ist.

Männer und Frauen im lokalen gewaltfreien Widerstand halfen geflüchteten KZ-Häftlingen und versorgten desertierte Soldaten, die sich im Gebirge versteckt hielten. Eine Gruppe bildete sich ab 1940 um Albrecht Gaiswinkler, Hans Moser und Valentin Tarra351-fluchthuuette-Moellmann5 in Bad Aussee. Gaiswinkler sprang zusammen mit Josef Grafl in den letzten Kriegstagen 1945 per Fallschirm über dem Höllengebirge ab und versuchte vergeblich Reichspropagandaminister Joseph Goebbels zu verhaften. Eine andere konspirative Gruppe wurde 1943 von Sepp Plieseis nach seiner Flucht aus dem Außenlager des Konzentrationslagers Dachau aufgebaut. Dabei halfen u. a. Agnes Primocic, Mali Ziegleder und Theresia Pesendorfer. Plieseis trug 1945 zur Gefangennahme Ernst Kaltenbrunners (Chef der Sicherheitspolizei und des SD, sowie des Reichssicherheitshauptamts) auf der Wildenseealm in der Nähe von Altaussee bei. Ebenso lebensgefährlichen und passiven Widerstand leistete Edith Hauer-Frischmuth. Sie horchte beispielsweise im Seehotel in Altaussee hochrangige Naziführer aus und rettete mit diesen Informationen gefährdete Personen. Für ihren Widerstand wurde Hauer-Frischmuth 1999 der jüdische Ehrentitel „Gerechte unter den Völkern“ verliehen.

Einige der Aktivisten engagierten sich unmittelbar nach dem Krieg als Gemeinde- oder Stadträte, gerieten jedoch mit dem Beginn des kalten Krieges und den damit verbundenen ideologischen Grabenkämpfen erneut in die Defensive und anschließend in Vergessenheit. Abgesehen von wenigen Ausnahmen, wie z. B. dem „Igel“ – dem Versteck der Gruppe „Willy-Fred“ – welches vom Verein Zeitgeschichte Ebensee mit einer Gedenktafel versehen wurde, aber sehr schwer zu finden ist, bleiben die Schauplätze dieser bemerkenswerten Ereignisse sowohl den einheimischen, als auch den touristischen Wanderern verborgen.

Ausblick

BR7C0650-Moellmann6-rgbDie auf den folgenden Webseiten benannten Entwürfe sind das Resultat eines Workshops mit Recherchen zum Salzkammergut und dem Ausseerland, der vom 14. bis 24. August 2014 in Bad Mitterndorf, Bad Aussee, Altaussee und im Toten Gebirge stattfand. Die Künstlerinnen und Künstler werden hier vor dem Hintergrund ausgewählter eigener Werke vorgestellt. Ihr Vorschlag für Aussee kommt nur kurz zur Sprache, denn mit der Realisierung tritt das Projekt in eine zweite Phase. Im Zuge der Durchführung können sich Orte, Aspekte und technische Details einzelner Entwürfe noch ändern. Ein Katalog ist in Vorbereitung und soll im Juli 2015 bei Sternberg Press, Berlin, erscheinen.

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1 Manfred Smuda: Landschaft. Frankfurt am Main 1986.
2 Martin Warnke: Politische Landschaft. Zur Kunstgeschichte der Natur. München 1992, zieht bereits in diesem Buch ein kritisches Resümee, das die verantwortungslose Überformung der Natur skeptisch in den Blick nimmt.